Dauerausstellung entdecken! „Gelungenen und gescheiterten Fluchten über den Grenzübergang Marienborn“
Fliehen unmöglich. Methoden des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) an der Grenzübergangsstelle Marienborn
Bis heute steht auf dem Gelände der Gedenkstätte Marienborn eine originale Verkleidung der Durchleuchtungskontrolle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Sie wurde in den 1990er Jahren kurz vor der Einfahrt in den Ausreisebereich der Autobahn A 2 in Richtung Bundesrepublik Deutschland abmontiert und an den heutigen Standort gebracht.
Das im Jahr 1971 untergeschriebene Transitabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR ermöglichte eigentlich nur bei einem konkreten Verdacht eine Kontrolle der westdeutschen Transitreisenden. Für Menschen, die aus der DDR fliehen wollten, eröffnete sich dadurch kurzzeitig die Möglichkeit, auf der Rückfahrt von einem Westdeutschen in die Bundesrepublik mitgenommen zu werden und die DDR zu verlassen. Zu Beginn der 1970er Jahre versteckten sich Flüchtlinge deshalb zunehmend in Kofferräumen oder hinter Sitzbänken westdeutscher Transitreisender. Das Ministerium für Staatssicherheit reagierte darauf u.a. mit der Einrichtung einer Durchleuchtungskontrolle, der sogenannten „Technik V“. Ab 1978 konnten Mitarbeiter der Staatssicherheit mit Hilfe einer radioaktiven Strahlenquelle (Cäsium 137) Fahrzeuge an der Grenzübergangsstelle Marienborn durchleuchten. Die Anlage wurden in Marienborn getestet und ab 1980 auch an anderen Grenzübergangsstellen der DDR eingesetzt. Die in den durchleuchteten Wagen entdeckten Personen meldeten die Mitarbeiter des MfS an die Passkontrolleure und Zöllner der Grenzübergangsstellen. Im Spätsommer 1989 demontierte die Staatssicherheit die Anlagen an allen Grenzübergängen.
Rasthof Börde als Beobachtungsstützpunkt des Ministeriums für Staatssicherheit

Ab den 1970er Jahren sind die Transitraststätten zu Begegnungsorten zwischen Ost und West geworden. Freunde und Verwandte aus DDR und Bundesrepublik verabredeten sich zu Treffen. Diese Kontakte waren für die Staatspartei SED unerwünscht, da sie „feindliche“ Einflüsse fürchtete. Das Transitabkommen bewirkte weniger intensive Zollkontrollen, was zu mehr erfolgreichen Fluchten führte. Zu Beginn der 1970er Jahre versteckten sich Flüchtlinge vermehrt in Kofferräumen oder hinter Sitzbänken westdeutscher Pkw. Das Ministerium für Staatssicherheit reagierte darauf mit der Einrichtung von Beobachtungsstützpunkten entlang der Transitwege, u.a. auf dem Rasthof Börde nahe Magdeburg.
Im Dachgeschoss des Rasthofgebäudes unterhielt das Ministerium für Staatssicherheit einen Beobachtungsstützpunkt. Von der konspirativen Dachwohnung, dem „Objekt Monika Sommer“, aus beobachteten und fotografierten die MfS-Mitarbeiter die Reisenden. Dafür nutzten sie in den 1980er Jahren auch auf dem Gelände angebrachte Überwachungskameras.
Berichte des MfS
"Im Rahmen der Zollkontrolle wurden dann die beiden auf dem Parkplatz aufgenommenen Plastebeutel (…) festgestellt. Darin befanden sich ca. 40 Tageszeitungen, Illustrierte, Kataloge und Kinderzeitschriften (…)"
Quelle: Sachstandsbericht des Ministeriums für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Magdeburg, 1985.
"Der BRD-Bürger übergab 1 kg Bananen und eine Tafel Schokolade sowie Intershopwaren. Er befand sich auf einer (…) Transitfahrt von der BRD nach Berlin (West)."
"Die jüngere weibliche Person aus dem Skoda begrüßte den Beifahrer des Fiat mit Kuss und Umarmung."
Quelle: Sachstandsbericht der Bezirksverwaltung Potsdam des Ministeriums für Staatssicherheit, 1987.
Biografische Skizze / Rolf-Joachim Erler – Fluchtversuch im Jahr 1973

Rolf-Joachim Erler wuchs in einer christlichen Familie auf, die viele Kontakte in den Westen hatte. Da er in der DDR kein Abitur machen durfte, absolvierte er eine Lehre zum Augenoptiker. Aus familiären Gründen lehnte Rolf-Joachim Erler schon als Kind das politische System der DDR ab. Im September 1973 erhielt er die Einberufung zur NVA. Ursprünglich wollte Rolf-Joachim Erler bei den sog. Bausoldaten dienen. Aber die Ereignisse des Prager Frühlings 1968 bestärkten ihn darin, den Wehrdienst in der DDR total zu verweigern. In der DDR wurden Wehrdienstverweigerer mit dem Vorwurf des „Nichtbefolgens des Einberufungsbefehls“ zu zwei Jahre Haft verurteilt. Erler entschloss sich daraufhin zur Flucht.
Angeregt durch einen Artikel im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kontaktierte ein Freund Erlers eine westdeutsche Schleuserorganisation. Einen Tag vor der Flucht erfuhr Erler von einem Kurier den Treffpunkt an der Transitstrecke. Den Zustieg in das Fluchtauto auf dem Rasthof Michendorf beobachtete das Ministerium für Staatssicherheit und meldete ihn nach Marienborn. An der Grenzübergangsstelle Marienborn wurde Rolf-Joachim Erler im Kofferraum des Fluchtautos entdeckt und verhaftet. Er wurde wegen versuchter „Republikflucht“ zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Er verbrachte seine Strafe von 1973 bis 1975 u.a. im Gefängnis in Cottbus. Nach dem Freikauf in die Bundesrepublik studierte er Theologie und arbeitete als Pfarrer in Zürich.
Biografische Skizze / Detlef Hubert Peuker – Beihilfe und Verhaftung bei der Flucht im Jahr 1975

Der Wagen wurde 1975 an der Grenzübergangsstelle Marienborn beschlagnahmt, als Peuker und ein Freund die Freundin seines Bruders im Bus versteckt aus der DDR herausschmuggeln wollen. Peuker erhielt viereinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe zur Flucht. Er wurde im Jahr 1978 von der Bundesrepublik freigekauft.
Quelle: Interview von Detlef Hubert Peuker, Gedenkstätte Marienborn, 2019
Interview von Detlef Hubert Peuker: www.facebook.com/GedenkstaetteMarienborn/videos/?ref=page_internal
Biografische Skizze / Heide-Lore Winkelmann – Entdeckt im Kofferraum im Jahr 1975


Im Jahr 1975 versucht Heide-Lore Winkelmann zusammen mit einer Freundin im Kofferraum eines Pkw die DDR zu verlassen. Fehlende Meinungs- und Reisefreiheit sowie der Zwang zu politischen Aktivitäten im Sinne der Staatspartei SED bewegen sie zur Flucht. Die beiden Frauen sollen für ihre Flucht 10.000 D-Mark pro Person an eine Fluchtorganisation gezahlt haben. An der Grenzübergangsstelle Marienborn werden sie verhaftet und in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Magdeburg-Neustadt verhört. Heide-Lore Winkelmann erhält eine Haftstrafe von 22 Monaten. Aus der Haft im DDR-Frauengefängnis Hoheneck wird sie 1977 von der Bundesrepublik freigekauft. Schätzungsweise waren bis 1989 ungefähr 23.000 Frauen aus diversen Gründen im Frauenzuchthaus in Hoheneck bei Stollberg in Haft.
Ab Mitte der 70er Jahre scheiterten die meisten Fluchtversuche in Marienborn. Das für die Überwachung der Grenze zuständige Ministerium für Staatssicherheit versuchte die Kontrolle über die Flüchtlinge bereits auf der Transitstrecke vor der Grenze zu gewinnen.